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Channel: Das Mädchen im Park – Journalismus & Aktivismus
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Eine Frage der Möglichkeiten

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Vor kurzem unterhielt ich mich mit einer Freundin darüber, ob und wie zufrieden wir beide mit unserer Jobsituation sind. Zur Einordnung: Wir sind beide 30 Jahre alt, sind in den letzten zwei Jahren mit der Uni und der Ausbildung fertig geworden und seitdem im Berufsleben. Noch vor wenigen Wochen hatte ich stolz erzählt, dass ich im Moment eigentlich wunschlos glücklich sei, was meine Arbeit angeht.

Ich bin Teil eines Zeitungskollektivs, schreibe nebenbei noch den ein oder anderen Text als Freie – und wenn ich nicht am Schreibtisch sitze, dann arbeite ich in einem Kollektivcafé. Auf der einen Seite heißt das zwar, dass ich mich oft mit anderen Menschen abstimmen muss, auf der anderen Seite heißt das vor allem, dass ich sehr selbstbestimmt und ohne Chef*in arbeite, mit Menschen, die ebenfalls ein anderes Wirtschaften anstreben und ausprobieren wollen.

Doch im Gespräch mit meiner Freundin stellte sich dann doch eine Unzufriedenheit ein. Wir diskutierten eine Weile und kamen gemeinsam zu dem Schluss, dass es uns beiden und vielen anderen in unserem Alter ganz schön schwer fällt, den richtigen Platz zu finden und zufrieden zu sein. Es gibt so unglaublich viele Möglichkeiten, was wir wann wie machen könnten. Und wir haben ganz schön viele Ansprüche an unsere Arbeit: Wir wollen nicht nur (genug) Geld verdienen, wir wollen uns auch wirksam fühlen, neue Erfahrungen machen und lernen, wir wollen die Welt verändern, wir wollen etwas Sinnvolles tun, in einem netten Team arbeiten, Zeit für Hobbies und Familie und Freund*innen haben – und dann soll das Ganze auch noch Spaß machen. Einen Job zu finden, der all das erfüllt, ist nicht leicht. Ich für meinen Teil mache gerade Abstriche beim Einkommen – wobei ich gleichzeitig übe, dem Geld nicht so viel Bedeutung beizumessen. Und ja, üben heißt, dass es nicht immer so klappt, wie ich mir das vorstelle.

Ich merke, dass bei mir immer mal wieder Stress aufsteigt, weil ich das Gefühl habe, noch besser sein zu müssen: mehr Geld verdienen, wirksamer sein, mehr Erfolg haben mit meinen Projekten. Doch wer misst das? Gut, mein Einkommen kann ich auf meinen Kontoauszügen ablesen, aber alles andere sind eher gefühlte Werte. Wann fühle ich mich erfolgreich oder wirksam? Wann habe ich Spaß bei der Arbeit?

Wahrscheinlich müssen wir uns eingestehen, dass das kapitalistische Mantra von „Immer weiter, immer schneller, immer besser“ auch in uns, die wir eigentlich etwas anderes anstreben, immer noch wirkt. Es sitzt tief. Wenn wir alle zufrieden wären, würde der Kapitalismus schließlich nicht mehr so gut funktionieren. Uns wurde von klein auf beigebracht, dass wir mit anderen konkurrieren, und unser Wert sich maßgeblich daran orientiert, was wir im Leben leisten. Bei einigen von uns haben sich die Maßstäbe inzwischen verändert, zum Beispiel in Richtung Nachhaltigkeit, Wirksamkeit oder Selbstverwirklichung. Das Prinzip ist aber immer noch das gleiche.

Wenn ich heute sehe, welche Karrieren die Menschen machen, die früher mal mit mir studiert haben, dann springt in mir ein unangenehmes Gefühl an und ich bin bekomme Zweifel, ob ich in meinem Leben die richtigen Entscheidungen getroffen habe. Hätte ich es besser machen können? Habe ich mich genug angestrengt oder bin ich unter meinen Möglichkeiten geblieben?

Sicherlich hat das auch etwas mit individuellen und psychologischen Mustern zu tun. Trotzdem glaube ich, dass sich darin eine gesamtgesellschaftliche Dynamik widerspiegelt, die wir nicht ignorieren können, wenn wir Alternativen aufbauen. Wir müssen ihr nicht zwangsläufig nachgeben – und dafür lohnt es sich, genauer hinzuschauen und zu fragen, welche Bedürfnisse eigentlich dahinter stehen.

Ein ganz anderen Blick bekomme ich auf dieses Thema, wenn ich mir klar mache, dass die meisten Menschen auf der Welt sich diese Fragen überhaupt nicht stellen können. Für sie ist es gar nicht relevant, ob ihnen ihre Arbeit Spaß macht oder ob sie sich selbst verwirklichen – für sie geht es einfach um‘s Überleben. Dann kommt mir das Gespräch mit meiner Freundin plötzlich völlig vermessen und abgehoben vor: Welch‘ Luxusprobleme! Ob ich mir damit einen Gefallen tue, weiß ich nicht. Die Probleme der Welt gegen meine eigenen auszuspielen, bringt meistens weder die Welt noch mich selbst weiter. Mit dieser Perspektive im Hinterkopf bekomme ich aber noch einen guten Grund mehr, unsere Wirtschaft umzugestalten: Die einen haben zu viele Möglichkeiten, die anderen gar keine.

Diese Kolumne erschien zuerst in der Ausgabe 09/20 von OXI – Wirtschaft anders denken. Link: oxiblog.de


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